Viele Entwicklungsteams erreichen nach anfänglichen Erfolgen ein Performanceplateau. Insbesondere, wenn ein Team über lange Zeit unverändert zusammenarbeitet, tendieren Teams dazu, Wissen und Kompetenzen zu zentralisieren. So funktioniert der Mensch, wir sind alle bemüht höchst effizient zu handeln. Die dadurch entstehenden wirtschaftlichen Risiken werden im Team selten bewusst wahrgenommen. Läuft ja.
Um die langfristige Performance und Antifragilität des Teams zu stärken, müssen Führungskräfte öfter kontraintuitive Maßnahmen ergreifen. Eine dieser Maßnahmen besteht darin, die Top-Performer zu identifizieren und aus dem Team zu entfernen. Im Folgenden zeige ich auf, warum das eine bessere Idee ist, als es zunächst scheint.
Effizienz folgt auf Stabilität
Ich betrachte Teams als komplexe Systeme. Systeme tendieren in stabilen Umgebungen dazu, effizienter zu werden. Wir Menschen sind ein Energiesparmodus auf zwei Beinen. Sobald wir die Chance sehen, etwas mit weniger Aufwand zu erledigen, ergreifen wir sie. Im Kontext eines Teamsystems bedeutet dies, dass nicht jeder alles wissen und können muss, es genügt, wenn Einzelne das Wissen haben. Stabile Teams bedeutet hier also vor allem, dass die Anforderungen von außen und die Teamaufstellung weitestgehend konstant waren.
Die durch diesen Mangel an Veränderungsimpulsen entstandene Zentralisierung führt dazu, dass immer mehr erfolgskritisches Wissen auf wenige Köpfe verlagert wird. Dabei handelt es sich um einen schleichenden und natürlichen Prozess.
Wir alle kennen es, es ist leichter beim Kollegen Mayer kurz nachzufragen, statt das Problem selbst zu durchdringen und eine Lösung zu finden. Der außen auferlegte Zeitdruck im Business tut sein übriges und verstärkt diese Entwicklung noch.
Mit der Zeit ist eine Dynamik in Gang gesetzt, die dazu führt, dass Einzelne immer mehr Aufgaben übernehmen. Eine häufige Begründung lautet in etwa so: “Bevor ich das lange erkläre, übernehme ich die Aufgabe schnell”.
Konstruktive Diskussionen enden
Je mehr Einzelne an Kompetenz gewinnen, umso mehr nehmen Diskussionen um die besten Lösungen ab. Sei es auf fachlicher oder technischer Ebene. Einwände werden overruled. Es mangelt am Verständnisfundament in tiefe Diskussionen einzusteigen. Hieraus folgt häufig eine sinkende Innovationsfähigkeit des Teams sowohl auf fachlicher als auch auf technischer Ebene.
Das Entwicklungsteam wird immer mehr zum bloßen Umsetzer als zum Mitgestalter des Produkts. Ich weiß, dass es Mitarbeiter gibt, die das für einen Gewinn halten. Diese haben nicht verstanden, dass technische Innovation in Softwareprodukten essenziell ist. Gute Softwareprodukte entwickeln sich auch unter der Oberfläche stetig weiter, nur so können künftige Kundenbedürfnisse bedient werden.
Teams, die keine konstruktiven & leidenschaftlichen Diskussionen führen, haben ein ernsthaftes Problem und verdienen besondere Aufmerksamkeit.
Überlastung
Das Team trifft keine Entscheidung mehr, ohne den Kollegen Mayer. Nach seinem Urlaub stauen sich Anfragen vorm Büro und im Posteingang. Alle Augen sind auf ihn gerichtet, wenn es nicht läuft. Gleichzeitig bleibt einiges an Arbeit liegen und andere warten darauf, dass Mayer seinen Teil beigetragen hat.
Für viele Menschen bedeutet eine solche Situation Stress. Enormer Druck und die Angst, Fehler zu machen. Aus Top-Performern werden Low-Performer.
Ein Entwickler wie Mayer will richtig gut in seinem Job sein. Geht häufig voll auf im Design und der Implementierung von genialer Software. Umso höher ist die Frustration oft, wenn sich genau diese Entwickler mit völlig anderen Themen beschäftigen müssen, die ihre Energie absaugen. Die Kompetenz ist weiterhin hoch, die Leistungsfähigkeit ging mit der Zeit immer weiter runter.
Eine Sorge, die bei einigen IT-Managern irgendwann mitschwingt: Was tun wir, wenn Mayer uns ausfällt?
Die Lösung?
Wie schon erwähnt, erlebe ich Situationen wie diese häufig. Die beste Lösung besteht in Prävention, also die Fehlentwicklungen frühzeitig erkennen und gegensteuern. Als Führungskräfte müssen wir uns unseren Blick von außen erhalten und darauf achten, dass Kompetenzen gut im Team verteilt sind. Wir müssen dem menschlichen, und auch tayloristischen, Wunsch nach Effizienz & Energiesparen bewusst begegnen.
Konnte sich eine Situation, ähnlich der zuletzt beschriebenen entwickeln, in der einer oder wenige Mitarbeiter zu potenziellen Risiken für unser Vorhaben wurden, setze ich gern auf radikale Lösungen.
Ich nehme den betreffenden Mitarbeiter in einem harten Schnitt aus seiner Umgebung, natürlich mit entsprechender Absprache und Information. Der Mitarbeiter wird vor “kannst du mal”-Anfragen geschützt, die Anfragen werden alle sichtbar gemacht, in der Regel via E-Mail. Gemeinsam gehen der Mitarbeiter und ich seine Anfragen durch und besprechen, ob hier eine Dokumentationsaufgabe besteht, das Team, das selbst herausfinden soll oder ein anderes Vorgehen ratsam ist.
Wir verschaffen uns zwischen Reiz (Anfrage) und Reaktion (Beantwortung) bewusst Zeit, um Kompetenzen im Team aufzubauen.
Im Team selbst kommt es dadurch meist anfänglich zu leichten Problemen, man muss sich intern immerhin neu finden und kann Probleme etwas langsamer lösen. Nach wenigen Wochen ist die alte Performance aber wiederhergestellt. Zusätzlich ist das Risiko eines Ausfalls von Schlüsselpersonal gesunken, das Wissen wurde handlungsorientiert dokumentiert und dem Unternehmen steht der Experte für neue Aufgaben weiterhin zur Verfügung.
Wann immer ich meinen Lösungsansatz initial vorstelle, stößt er auf Kritik und Sorgen. Die positiven Effekte haben bislang jedoch immer überwogen. Mehr noch, ein Kunde beschrieb es als “unerwarteten Performance-Booster”.
Nachtrag zu diesem Beitrag:
Nachdem ich den Beitrag verfasst habe, fiel mir eine gute Analogie ein. Im Tauziehen gibt es einen ähnlichen Effekt, wenn die Zahl der Teammitglieder eine gewisse Grenze überschreitet. Der Beitrag des Einzelnen sinkt und man verlässt sich mehr auf die anderen. Vielleicht ist das eine zusätzliche Hilfe beim Verständnis des beschriebenen Problems.